Alte Zie­ge­lei Westeregeln

Seit alters­her wur­de in den Stein­brü­chen auf dem Wes­tere­gel­ner Kalk­berg Gips gewon­nen und gebrannt. Im Jah­re 1803 kam eine Zie­ge­lei hin­zu, die als Roh­stoff den Schluff­stein des Unte­ren Bunt­sand­steins ver­ar­bei­te­te, der in den Ton­gru­ben der Zie­ge­lei abge­baut wur­de. Die auf­läs­si­gen Gips­brü­che und Ton­gru­ben stel­len heu­te einen inter­es­san­ten Geo­top und zugleich einen der natür­li­chen Suk­zes­si­on über­las­se­nen Tro­­cken- und Feucht­bio­top dar, der wegen der Beson­der­hei­ten der geo­lo­gi­schen Lage­rungs­ver­hält­nis­se und der Gesteins­aus­bil­dung für Leh­re und For­schung über­re­gio­na­le Bedeu­tung hat. In Ver­bin­dung mit der weit­ge­hend erhal­te­nen Zie­ge­lei aus dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert und den Res­ten einer Hüt­te mit meh­re­ren Öfen zum Bren­nen von Gips ergibt sich ein inter­es­san­tes Indus­trie­are­al inmit­ten einer wie­der­erstan­de­nen viel­fäl­ti­gen Natur, die jedoch seit Jah­ren durch land­wirt­schaft­li­che Mono­kul­tur und aktu­ell durch den Kli­ma­wan­del stark gefähr­det ist.

Das Schild an der Gara­ge der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln ver­deut­licht, um was es hier geht: um ein Bau- und Indus­trie­denk­mal, ein Zie­ge­lei­mu­se­um, ein bedeu­ten­des Geo- und Bio­top und einen Ort für die sinn­vol­le Beschäf­ti­gung von arbeits­lo­sen Menschen.
Am Ende des Kopf­stein­pflas­ter­wegs öff­net sich auf dem Kalk­berg das Tor zur Alten Zie­ge­lei Wester­egeln. Im Schau­kas­ten fin­den sich aktu­el­le Infor­ma­tio­nen, auf der Rück­sei­te ist der Salz­län­der Kul­tur­stem­pel­kas­ten angebracht.
Stem­pel­stel­le 39 des Salz­län­der Kul­tur­stem­pels: Die Alte Zie­ge­lei Westeregeln. 

Die Alte Zie­ge­lei Wester­egeln ist seit Jah­ren Sta­ti­on des Salz­län­der Kul­tur­stem­pels: salzlaender-kulturstempel.de

Im Hoffmann’schen Ring­ofen der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln sind zu Anschau­ungs­zwe­cken Roh­lin­ge ein­ge­setzt worden.
In der ehe­ma­li­gen Ton­gru­be hat sich in den ver­gan­ge­nen gut 20 Jah­ren ein beson­de­res Bio­top mit sel­te­nen Pflan­zen, Insek­ten und Klein­tie­ren ent­wi­ckelt, in dem sich auch Fuchs, Hase und Reh gute Nacht sagen; vom lär­men­den Kuckuck hier nicht zu reden.
Im Stein- und Gips­bruch unter­halb der Zie­ge­lei in Rich­tung Wes­ten zur Moto­cross-Stre­cke fin­det man auch Mari­en­glas, eine Varie­tät des Mine­rals Gips und damit che­misch gese­hen was­ser­hal­ti­ges Cal­ci­um­sul­fat (CaSO₄·2 H₂O) von beson­ders hoher Reinheit. 

Den in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten in Wester­egeln leben­den Men­schen waren die unter einer dün­nen Boden­de­cke anste­hen­den Gips­fel­sen bereits bekannt. Man begann schon früh, in klei­nen Gru­ben Gips zu gewin­nen und zu bren­nen, um dadurch einen Bau­stoff mit wert­vol­len Eigen­schaf­ten zu erhal­ten. Die­ser Abbau war einer der ers­ten wir­kungs­vol­len Impul­se für eine wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung des Stand­or­tes Wester­egeln. Bereits die Geo­lo­gen des 19. Jahr­hun­derts erkann­ten in die­ser Gelän­de­hö­he den obe­ren Teil der wich­tigs­ten geo­lo­gi­schen Struk­tur die­ses Gebie­tes, den Sta­ß­­furt-Egel­­ner-Oscher­s­­le­­be­­ner Salz­sat­tel. Aber nicht nur geo­lo­gisch wert­vol­le Fun­de erstau­nen die Wis­sen­schaft­ler immer wie­der, son­dern auch palä­on­to­lo­gi­sche Über­res­te sind bis heu­te von beson­de­rer wis­sen­schaft­li­cher Bedeu­tung. So wur­den Über­res­te einer reich­hal­ti­gen vor- und nach­eis­zeit­li­chen Säu­ge­tier­fau­na wie Mam­mut, Woll­nas­horn, Moschus­och­sen, Ren­tier, Wild­pferd und vie­les mehr frei­ge­legt, die einen Eck­pfei­ler in der wis­sen­schaft­li­chen Erfor­schung bis in die heu­ti­ge Zeit dar­stel­len. Auch in unse­ren Tagen kom­men bei Gra­bungs­ar­bei­ten an den alten Gips­brü­chen Wir­bel­tier­res­te zum Vor­schein; es wur­de auch die The­se dis­ku­tiert, dass sich auf dem Kalk­berg Hyä­nen­hor­te befan­den — vor Zig­tau­sen­den von Jahren.

Mit dem ver­stärk­ten Gips­ab­bau, der bis in das 20. Jahr­hun­dert reich­te, setz­te auch der Abbau von Ton ein, der seit Beginn des 19. Jahr­hun­derts bis zu Beginn der 1990er-Jah­­re in der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln gebrannt wurde.

Die­se Zeug­nis­se des mensch­li­chen Lebens aus ver­gan­ge­ner Zeit sol­len für die Zukunft erhal­ten wer­den. Tech­ni­sche, archäo­lo­gi­sche, geo­lo­gi­sche Beson­der­hei­ten und die sel­te­ne Flo­ra und Fau­na des in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ent­stan­de­nen Bio­tops sol­len der Öffent­lich­keit durch Besich­ti­gungs­mög­lich­kei­ten zugäng­lich gemacht wer­den. Mit der Schaf­fung einer musea­len Ein­rich­tung wird seit Jah­ren auch die Inte­gra­ti­on von Pro­ble­men der heu­ti­gen Zeit, die Über­win­dung der Benach­tei­li­gung von Arbeits­lo­sen und Sozi­al­hil­fe­emp­fän­gern sowie ande­ren benach­tei­lig­ten Men­schen gemildert.

Der Kom­plex der musea­len Nut­zung glie­dert sich in die Ton­gru­be mit bemer­kens­wer­ten geo­lo­gi­schen Auf­schlüs­sen und einem Bio­top, die Gru­ben­an­la­ge mit einem etwa 600 Meter lan­gen Schmal­spur­netz, mit Kipp­lo­ren und Die­sel­lo­ko­mo­ti­ven, der Ton­auf­be­rei­tungs­an­la­ge mit Kas­ten­be­schi­cker, Kol­ler­gang, Dop­pel­wel­len­mi­scher, Schli­ckey­sen­sche Strang­pres­se, dem elek­trisch betrie­be­nen Kreis­trans­por­teur mit einer 600 Meter lan­gen End­los­ket­te, dem gestreck­ten Hoffmann’schen.

Es ist das Anlie­gen der Sozi­al-Akti­en-Gesel­l­­schaft Bie­le­feld, den Stand­ort der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln zu erhal­ten und zu einem attrak­ti­ven Muse­ums­be­trieb wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Bis 1991 wur­den, aus­ge­nom­men wäh­rend der Win­ter­mo­na­te, in Wester­egeln mit über­al­ter­ter Tech­nik und hohem Anteil manu­el­ler Arbeit pro Jahr (!) etwa 3,2 Mil­lio­nen Zie­gel im so genann­ten Nor­mal­for­mat pro­du­ziert; heut­zu­ta­ge wird die­se Men­ge von einer moder­nen Zie­ge­lei an einem Tag her­ge­stellt. Bis in die spä­ten 1950er-Jah­­re wur­de hier auch Gips gebro­chen und bearbeitet.

Der Ton für die Zie­gel­her­stel­lung stamm­te aus der angren­zen­den Ton­gru­be. Heu­te sind auf dem etwa 72.000 Qua­drat­me­ter gro­ßen Gelän­de – gemäß den „blü­hen­den Land­schaf­ten“ des Dr. Hel­mut Kohl – sowohl Gru­be als auch Gips­bruch wert­vol­le Geo­to­pe und Feucht­bio­to­pe. Neben viel­fäl­ti­ger Flo­ra und Fau­na sind in Wester­egeln auch geo­lo­gi­sche Beson­der­hei­ten des Sta­ß­­furt-Egel­­ner-Oscher­s­­le­­be­­ner Salz­sat­tels zu betrach­ten – ein Umstand, der die Fach­hoch­schu­le Bie­le­feld und ihren Fach­be­reich Gestal­tung, die Uni­ver­si­tät Hal­le an der Saa­le, die Hoch­schu­le für indus­tri­el­le Form­ge­stal­tung und Design Burg Gie­bi­chen­stein, die Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Ber­lin, TU Berg­aka­de­mie Frei­berg und ande­re mehr zum Koope­ra­ti­ons­part­ner gemacht hat.

Die vor­han­de­nen Zeug­nis­se des indus­trie­kul­tu­rel­len Lebens und Arbei­tens und die tech­ni­schen Beson­der­hei­ten der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln sol­len für künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen erhal­ten bleiben!

Eini­ge Palet­ten mit in der Wes­tere­gel­ner Zie­ge­lei gebrann­ten Mau­er­zie­gel lagern auf dem Zie­ge­lei­ge­län­de und die­nen bei Bedarf zur wei­te­ren Restau­rie­rung der Gebäude.
Die West­fas­sa­de der Gro­ßen Trock­nung am Abend. Im Vor­der­grund die Loren der Feldbahn.