Gips­hüt­te

Gleich neben der rumä­ni­schen UNIO-Loko­mo­ti­ve vor der West­fas­sa­de der Gro­ßen Trock­nung befin­det sich der 2004/2005 aus­ge­gra­be­ne, sanier­te und denk­mal­schutz­ge­recht über­dach­te Mehr­zweck­ofen aus dem Jahr 1856 – ein „Dach­zie­gel­ofen mit Kup­pel­pro­duk­ti­on“, so die The­se des 2014 84-jäh­rig ver­stor­be­nen Brenn­stoff- und Ofen­spe­zia­lis­ten Prof. Dr. Dr. Rudolf Jeschar aus Goslar.

Bis in das ers­te Drit­tel des 19. Jahr­hun­derts gab es neben dem bäu­er­li­chen Hand­werk in Wester­egeln auch die Gips- und Kalk­bren­ne­rei­en. Res­te eines Gips­brand­ofens auf dem Gelän­de der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln ver­wei­sen auf die­sen Indus­trie­zweig. Auch die För­de­rung und Ver­ar­bei­tung von Koh­le (ab 1836) und Salz (ab 1870) bestim­men die Ent­wick­lung des Bör­de­or­tes Westeregeln.

Bereits im Jah­re 1776 ist Gott­fried Samu­el Berg­ling als Besit­zer einer Gips­hüt­te am Kalk­berg nach­ge­wie­sen. Im Jah­re 1938 wur­de Her­mann Lucas Wie­g­leb als Besit­zer der Zie­ge­lei und Gips­hüt­ten Wester­egeln benannt, und im Jah­re 1863 ver­pach­te­te Wie­g­leb die Zie­ge­lei an Zapf/Krüger. 1864 bau­te August Samu­el Berg­ling einen zwei­ten Gip­sofen. Der letz­te Besit­zer, Karl Berg­ling, Sohn des August Berg­ling, führ­te die Zie­ge­lei bis zum 4. Febru­ar 1949. Dann wur­de er enteignet.

Die auf­ge­fun­de­nen Doku­men­te bele­gen, dass man in klei­nen Gru­ben begann, Gips zu gewin­nen und zu bren­nen, um einen Bau­stoff mit wert­vol­len Eigen­schaf­ten zu erhal­ten. Die­ser Abbau war einer der ers­ten wir­kungs­vol­len Impul­se für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung des Stand­or­tes Wester­egeln. Bereits die Geo­lo­gen des 19. Jahr­hun­derts erkann­ten in die­sem Gebiet den obers­ten Teil der wich­tigs­ten geo­lo­gi­schen Struk­tur des Land­strichs, den Sta­ß­­furt-Egeln-Oscher­s­­le­­be­­ner Salz­sat­tel. Die­se geo­lo­gi­sche Struk­tur bedingt das rela­tiv enge Neben­ein­an­der­lie­gen von sehr unter­schied­li­chen Boden­schät­zen wie Salz, Gips, Ton, Braun­koh­le, Kie­se und San­de. Die Geschich­te des Bin­de­bau­stoffs Gips lässt sich bis in das 9. Jahr­tau­send vor Chris­tus zurück­ver­fol­gen. Durch die Expan­si­on des römi­schen Welt­rei­ches ver­brei­te­te sich die Kennt­nis um die Her­stel­lung und Ver­wen­dung von Gips in ganz Europa.

Nach einer Pha­se des Ver­ges­sens wur­de der Bin­de­bau­stoff im Mit­tel­al­ter neu ent­deckt und erreich­te sei­ne vor­läu­fi­ge Blü­te­zeit wäh­rend der Zeit des Barocks und Roko­kos durch die Erfin­dung des Stuck­mar­mors. Gips wur­de bevor­zugt in Mör­teln und Est­ri­chen ein­ge­setzt, wobei der Innen­be­reich vor dem Außen­be­reich domi­nier­te. Über die Römer gelang­te das Wis­sen um den Gips auch nach Mit­­tel- und Nord­eu­ro­pa. Ins­be­son­de­re die im Frän­ki­schen Reich leben­den Mero­win­ger beherrsch­ten die Her­stel­lung und Ver­ar­bei­tung von Gips.

Ab Mit­te des 19. Jahr­hun­derts unter­schied man bereits zwi­schen Halb­hy­drat (CaSO4 1/2H2O) und Anhy­drit (CaSO4) und wuss­te um die Abhän­gig­keit der Ver­ar­beit­bar­keit von der Her­stel­lungs­tem­pe­ra­tur. Im 20. Jahr­hun­dert erlang­te der Gips zuneh­men­de Bedeu­tung durch die Ent­wick­lung von vor­ge­fer­tig­ten Ele­men­ten, begin­nend mit der Gips­die­le bis zu den heu­ti­gen Gips­kar­ton­plat­ten und Gipswandbauplatten.

Der zum Teil aus­ge­gra­be­ne und im Ansatz auf­ge­bau­te Sockel des alten Mehrzweckofens.
Nota bene

Der Name Kalk­berg für den Stand­ort der Alten Zie­ge­lei Wester­egeln ist irre­füh­rend, weil es hier kei­nen Kalk gibt. Offen­bar hielt man frü­her den che­mi­schen Unter­schied zwi­schen Kalk (Kal­zi­um­kar­bo­nat) und Gips (Kal­zi­um­sul­fat mit Kris­tall­was­ser) für nicht wesent­lich; ledig­lich die glei­che Ver­wen­dung bei­der Mine­ra­le nach einem Brenn­pro­zess als Mör­tel war ausschlaggebend.

Kalk lässt leicht durch den Säu­re­test nach­wei­sen: Man gibt einen Trop­fen ver­dünn­te Salz­säu­re auf ein zu prü­fen­des Gestein. Braust es auf und Koh­len­säu­re ent­weicht, so ist es Kalk (Kar­bo­nat) und kein Gips (Sul­fat).